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Die Technik des sozialen Feldes

Als ich vor über 30 Jahren meine Lehre zum Landwirt absolvierte, war ein 60 Hektar großer Schweinemastbetrieb noch überlebensfähig. Ich habe mich über die Hydraulikmöglichkeiten gefreut und sie Strohballen mit der dreizinkigen Forke und per Hand gestapelt. Der Mähdrescher hatte schon eine Glaskabine. Und der große grüngelbe Traktor ebenfalls.

Heutzutage sehe ich Armaturenbretter und Screens mit Satellitendaten. Die Ausbringung von Pflanzenschutz und Düngemitteln wird quadratmetergenau gesteuert.

Und wozu das Ganze? Optimale Bestellung und Bodenpflege soll gewährleistet sein. Damit ist das Wachstum der Pflanzen optimal gefördert und in der Tierhaltung sieht es technisch ebenfall hochoptimiert aus.

Vom Feld ins Netz

Im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit hat sich ebenfalls ein Technikwandel ergeben. Vor Jahren schrieben wir an unsere Kunden Briefe auf Papier und legten diese den Abo-Kisten bei. Das Marketing ging weitestgehend über Empfehlungen, Hofschilder oder Flyer in den belieferten Läden. Dann kamen Mails und die ersten Online-Bestellungen. Und immer stärker Social Media.

Die Bestellung des Ackers für das Soziale Umfeld ist technischer, komplexer und optimierter geworden. Nicht dass die Pflanzen anspruchsvoller sind – sie waren es bereits immer schon – aber wir haben gelernt ihren Ansprüchen noch genauer gerecht zu werden. Im sozialen Feld sind auch die Kunden transparenter geworden. Ihre Bedürfnisse sind die gleichen – jedoch siegt derjenige im Wettkampf um Aufmerksamkeit, der diese Bedürfnisse optimal bedient.

Welche Kanäle auf dem Sozialen Feld müssen bespielt werden und mit welcher Technik?

Man könnte die Kanäle gleichsetzen mit unterschiedlichen Kulturen, die verschiedene Nährstoffaufnahme haben. Die Grundbausteine sind

  • Film, in Form von GIFs, TikToks, Snapchats, Reels und YouTubes
  • Bild, in Kombination mit Textelementen, Stimmungselementen und mit verschiedenen Filtern
  • Text, als Beitrag lesbar, gegliedert, angereichert mit Bildern oder Emojis
  • Emoji, 😉 (Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich alle richtig verwende)
  • Hashtag, #ichbineineabkürzung und #hebmichhervor
  • Impulsdauer, von wenigen Sekunden bis über einstündige Videos und Podcasts – alles möglich
  • und @verlinkung mit Verweis auf Quellen, Empfehlungen, Webseiten und vieles mehr.

YouTube erreicht via längeren Videos andere Menschen als TikTok oder Instagram. Die Vielfalt der unterschiedlichen Dauer in den verschiedenen Formaten, erlaubt auch innerhalb der Kanäle Varianzen. Die Optimierung und “richtige” Bedienung dieser Kanäle beherrschen Agenturen und andere Social-Media Dienstleister.

Mit dem einfachen Zugang zu Social Media Kanälen haben viele Bäuerinnen und Bauern begonnen Follower und Likes zu sammeln und das “Soziale Feld zu bestellen”. Die Vernetzungsmöglichkeiten beispielsweise von Facebook und Instagram oder die Möglichkeit mit Content Management Programmen Beiträge abgestimmt über mehrere Kanäle zu vorgewählten Zeiten auszuspielen, vereinfachen diese Arbeit. Gleichzeitig erschweren sie diese Arbeit, weil sie Kenntnisse verlangen, die Zeit brauchen, um sie zu erarbeiten.

Während Influencer und Creatoren hauptberuflich und sehr versiert an der Erstellung höchst fokussierter Videos stundenlang arbeiten, werden die Kanäle mehr, in denen Bäuerinnen und Bauern von ihrer Arbeit berichten. Sie nutzen dabei die zur Verfügung gestellten Tools wie Filter und Textanimationen. Einigen von ihnen gelingt es inzwischen recht gut mehr als 10.000 Follower mit Inhalten zu bespielen.

Ist das das soziale Feld?

Die Interaktion in Social Media beschränkt sich in der Regel auf Likes, Kommentare und Weiterleitungen. Alle drei bilden die sogenannte Engagement-Rate, wenn man die Summe dieser drei Werte zur Anzahl der Gesamtansichten des einzelnen Beitrages setzt. Doch der Begriff ist trügerisch.

Wenn Begegnung mit der Urproduktion zu gesellschaftlicher Veränderung führen soll, dann wird es um ein anderes Engagement gehen: Das Soziale Feld sind Mitmenschen in anderen Lebensräumen. Während in der Urproduktion der Eindruck entsteht, diese Lebensräume driften zunehmend auseinander, braucht es für unsere eine Welt deutlich mehr Verständnis und Aktivität, diese Lebensräume wieder aufeinander zu zu bewegen.

In der Pandemie hat sich gezeigt, dass dies mit Hilfe von digitalen Kanälen möglich ist. Ich durfte selbst miterleben, wie wirkliche Beziehungen über Zoom-Konferenzen gewachsen sind. Ich durfte erleben, wie daraus Begegnungen wurden und wie weiterhin konkrete Taten folgten. Für diese zunächst virtuellen und dann auch persönlichen Begegnungen bin ich sehr dankbar. Sie haben mich wachsen lassen und durch die Isolation getragen.

Interesse bedeutet “dazwischen-sein”

Diese Begegnungen finden auch digital statt. Sie setzen voraus, dass man sich zuhört, miteinander ins Gespräch kommt, dem Anderen wohlwollend und konstruktiv helfen will. Diese Begegnung finden immer wieder in unserem Connect & Create statt oder auch während der Kurse, die wir derzeit ausschließlich online gestalten. Diese Begegnungen setzen Interesse aneinander voraus. Inter-esse bedeutet “dazwischen sein”. Jeder von uns muss dazu bereit sein, aus seinen ganz eigenen Vorstellungen herauszutreten und sich zu öffnen für etwas Neues. Dann kann Dialog und Begegnung beginnen und die Verbindung wachsen.

Auch wenn wir heute schon sehr intensiv mit Social-Media-Tools agieren und uns darin professionalisieren – es wird nur dann fruchten, wenn es uns gelingt, nach wie vor mit großem Interesse aneinander uns zuzuhören. Da dies bei steigenden Followeranzahlen immer schwieriger wird, muss umso konkreter nachgefragt werden.

Und das will auch ich zum Abschluss dieses Artikels tun, indem ich auf unsere Umfrage zu unserem Newsletter verweise (dessen Öffnungsraten und Klickraten ich mir auch immer wieder ansehe ;-))

Es geht um mehr als die Engagement-Rate

Um zum Bild der optimalen Pflanzenversorgung zurück zu kehren: Während meiner Ausbildung, meines Studiums und seit der Gründung des Vereins bin ich mit zahlreichen Bauern und Bäuerinnen zusammengetroffen. Ich habe keine(n) erlebt, der ohne Liebe und Begeisterung für seinen Hof, die Tiere und Pflanzen war. Und trotz aller Technisierung und Optimierung ist es immer diese Liebe zum Beruf, die dem Endprodukt jenes Etwas gibt. Wir – und damit spreche ich aus Sicht der Gesellschaft – haben diese Liebe nicht erwidert. Es wird Zeit.