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Schublade auf – Problem gelöst?

Wir sehnen uns in einer hochkomplexen Welt, nach Vereinfachung. Wir wünschen uns leichte Entscheidungen und Sicherheit für unsere Ziele. Und deswegen lieben wir Schubladen in unseren Köpfen.

In der Landwirtschaft gibt es ein paar grosse Schubladen. Die grösste Schublade ist die Bezeichnung “konventionelle Landwirtschaft”. Dann gibt es noch eine Schublade “ökologische Landwirtschaft” und die wiederum hat ein paar Fächer wie EG-Bio, Bioland, Demeter, Naturland und noch ein paar kleinere.

Als ich im Studium der Agrarwirtschaft mit dem Schwerpunkt ökologischer Landbau war, befasste sich eine Komillitonin mit den Unterschieden in den jeweiligen Richtlinien für die verschiedenen Bioverbände. Was darf wie viel gespritzt, gedüngt, vermehrt werden? Wieviel Platz brauchen Kuh, Schaf, Schwein, drinnen und draussen? Wie ist das mit den Hörnern, der Medizin und der Futterzusammensetzung?

Es ist halt kompliziert

All diese Fragen machen deutlich, dass auch schon die kleine Schublade ziemlich kompliziert ist mit ihren Trennwänden und Fächern. Und auch für mich war damals die grosse Schublade einfach mal alles andere, was nicht in die kleinen Fächer passte.

Mit dem Erfahrungsfeld Bauernhof entstand der Wunsch, auf Augenhöhe der Urproduktion zu begegnen. So wie Nadja Rothenbühler vom Könighof in einem kürzlich erschienenen Post schildert, dass schon längst nicht mehr alle Konventionellen einfach so spritzen und düngen, so wuchs auch meine Erkenntnis: die große Schublade ist viel Vielseitiger als du geahnt hast. Weil ich interessiert daran war, wie der jeweilige Betriebsleiter (leider traf ich mehr Männer als Frauen) genau seinen Betrieb verstand, wie er die einzelnen Bereiche aufeinander abstimmte und wie er dadurch seine ganz individuelle Hofidentität schuf, haben sich die Grenzen der großen Schublade gelöst. Manches fand ich auf Biobetrieben schlechter gelöst als bei den Anderen.

Was heißt “konventionell”?

Was mir aber die Grundlage des Übels zu sein scheint, ist das Missverständnis des Begriffs “konventionell”:

Das etymologische Wörterbuch beschreibt die Herkunft des Begriffs wie folgt:

konventionell Adj. ‘herkömmlich, den gesellschaftlichen Normen genügend, die durch stillschweigende Übereinkunft festgelegten Formen einhaltend’ (18. Jh.), nach gleichbed. frz. conventionnel, mfrz. frz. auch ‘auf einem Vertrag beruhend, vertraglich’.

dwds. de

Welche Übereinkünfte gibt es?

Jetzt fange ich mich an zu fragen, wer eigentlich mit wem eine stillschweigende Übereinkunft geschlossen hat? Natürlich gibt es den Bauernverband, der sich als Lobby für die Landwirte in der Politik einmischt. Aber viele Bauern und Bäuerinnen habe ich immer wieder über die Interessen des Bauernverbandes streiten gehört.

Dann gibt es auch die stillschweigende Übereinkunft der Gesellschaft, billige Nahrungsmittel zu konsumieren obwohl man von Umweltschäden weiß.

Auch der immer lautere Ruf nach mehr Öko könnte ja als Konvention verstanden werden. Dann müsste aber die ökologische Landwirtschaft die konventionelle heissen.

Wie ich es drehe und wende, ich bin mir nicht sicher, wer eigentlich noch was für eine Übereinkunft hat. Obwohl: ich habe bei allen Bäuerinnen und Bauern, die ich in meinem Leben kennenlernen durfte eine deutliche Übereinkunft feststellen können. Alle hatten eine Liebe und Hingabe zu ihrer Tätigkeit, die ich bei manch einem Manager (ich bin in meinem Hauptberuf Unternehmensberater) mit größerem Gehalt nicht erkennen konnte.

Was nun?

Es ist also nicht möglich, einfach die Schubladen aufzuziehen und sich dadurch leichtere Entscheidungen zu ermöglichen. Gerade das Feld unserer Urproduktion von Nahrungsmitteln, eingebunden in soziale, wirtschaftliche und ökologische Gesetzmäßigkeiten, ist dafür ein Paradebeispiel. Was ist dann aber zu tun?

Zunächst einmal sollten wir aufhören, den Anderen zu be- und verurteilen.

Stattdessen sollten wir ihm oder ihr unser Ohr schenken und zuhören. Gemeinsam können wir hinschauen auf das, was auf dem Hof an Tradition, Geschichte und sich anbahnender Zukunft geschieht.

Wir sollten – bevor wir etwas über den anderen sagen – ergründen, welche Verantwortung wir selbst mit unserem Tun übernehmen und wie wir anderen verhelfen, wahrhaftige Erkenntnisse zu bekommen, statt Vorurteilen zu erliegen. Und wir sollten uns angewöhnen, mehr mit Fragen zu leben, damit wir irgendwann, wie Rilke es schreibt, in die Antworten hineinleben.

Miteinander Lernen

Lasst uns in Zukunft miteinander und voneinander lernen. Lasst uns neugierig sein und Dinge weiterdenken. Lasst uns vernetzen, gestalten und handeln. Auf Augenhöhe. Dafür haben wir das Erfahrungsfeld-Bauernhof ins Leben gerufen. Dafür vernetzen wir täglich neue Menschen miteinander und öffnen uns für verschiedene Sichtweisen. Dafür haben wir Methoden aufgenommen und entwickeln sie weiter, um unsere Fähigkeiten des Zuhörens zu verbessern und den Vorurteilen keinen Raum mehr zu geben. Wir haben unsere Sinne geschult und stärken die Wahrnehmungsfähigkeiten unserer Gäste und KursteilnehmerInnen.

Manch eine Frage hat mehr ausgelöst als die Feststellung eines Urteils.