Reinhard Kahl, Wissenschaftsjournalist und Gründer des Archiv der Zukunft Netzwerk e.V. begann nach der ersten Pisa-Studie verschiedenste Initiativen, Schulen und andere Bildungseinrichtungen aufzusuchen, um “Geschichten des Gelingens” zu erzählen. Es mache keinen Sinn, über das Schulsystem zu jammern, wo es doch an vielen Stellen Impulse und Ansätze gebe, die das Bildungssystem anders machen, Lernlandschaften und Erfahrungsfelder erzeugten. Mit seinem viel beachteten Film “Treibhäuser der Zukunft” begann er, diese Geschichten zu erzählen.
Auch die Bauernhofpädagogik braucht solche Geschichten. Und die vielen Bäuerinnen und Bauern, die ihre Höfe geöffnet haben, tun ihr Bestes, um von ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen zu erzählen. Gerade in der heutigen Zeit erscheint es leicht, wenn Instagram oder Facebook die Storys ermöglichen. Kamera an, kurz etwas authentisches der Linse erzählt – und ab geht es.
Die Storys sind sehr unterschiedlich gut. Manch einer zählt dabei einfach seine Follower. Und wenn er anderen Bauern aus der Seele zu sprechen scheint, erhöht sich die Anzahl der Fans. Nur leider erreicht sie nicht unbedingt das Publikum, was erreicht werden sollte.
Auch wir haben uns Gedanken dazu gemacht, was es braucht, um Geschichten zu erzählen. Und geben Dir hiermit unsere 6 Tipps für Einsteiger:
Lege dir eine Schatztruhe zu
Du hast selbst Interesse an vielen veschiedenen Themen. Was passiert regelmäßig, was in langen, was in kurzen Zeitabschnitten. Sammle die Momente, die dich selbst überrascht haben. Wo ist etwas unvorhergesehenes passiert? Ein Tage- oder entsprechendes Notizbuch eignet sich prima dafür. Natürlich kannst Du auch die Situation kurz aufsprechen mit einem Videoschnipsel. Das vereinfacht es. Du solltest nur auch deine Sammlung durchforsten können.
Mach dir dazu ein paar kurze Notizen, die dir helfen, dich zu erinnern:
- An welchem Ort war das?
- Wer war dabei?
- Wann war es – und wie lange hat es gedauert?
- War es häufiger oder einmalig?
- Welche verschiedenen Meinungen und Erwartungen waren vorhanden?
- Was war das Ziel der Aktion?
- Was war die Überraschung?
- Welche Fragen wurden gestellt?
- Gab es besondere Ängste oder sehr freudige Reaktionen?
Die Fragen müssen nicht alle beantwortet sein. Schreibe dir noch eigene weitere Fragen dazu auf, die dir helfen, deine Schatztruhe zu füllen.
Lies jeden Tag Geschichten von Anderen
Schreiben lernen ist wie Sprechen lernen. Klar, in der Schule ging es um Grammatik, Satzbau und Rechtschreibung. Davon entsteht noch keine gute Geschichte. Aber Du kannst heutzutage sehr viel durch das lernen, was Andere dir vormachen. Lies im Internet, suche nach Geschichten und Geschichtenerzählern, die dir gefallen. Achte darauf, was sie schreiben. Achte auch darauf, was dich daran anspricht. Ist es der Gedankengang in der Geschichte? Fällt dir ein besonderes Wort auf? Haben die Texte überraschende Wendungen? Wecken sie Erwartungen oder fordern sie zum Handeln auf?
Absätze in Romanen, Zeitungsberichte, Kurzmitteilungen. Was macht für dich ein inspirierendes Zitat aus? Schlag doch mal einfach ein Buch aus deinem Bücherregal auf und lies einen Absatz daraus.
Mach dir aber auch Gedanken dazu: Wie würdest Du es sagen, wenn du nicht Dich selbst, sondern deinen Nachbarn mit dieser Geschichte beeindrucken willst? Nimm dir für diese Übung täglich 5-10 Minuten Zeit und genieße die geschichten. Vergiss jedoch nicht, diese Reflexionsfragen zu durchdenken.
Sammle starke Bilder
Geschichten leben von Bildern. Auf Instagram kannst Du schnell erkennen, ob das Bild zum dazugehörigen Text passt. Manchmal inspiriert die Bildersuche im Internet. Wenn Du ein Bild siehst, dann löst das sofort Fragen oder Erinnerungen aus. Wenn hier von starken Bildern gesprochen wird, dann achte in deinem Alltag auf die Details: Die Kinderhand am Maul der Kuh, das freudige Gesicht beim Pusteblume-Pusten, die Ästhetik eines abgebrochenen Astes, das Wiegen der Ähren im Wind. Klar hilft auch hier das Handy und der schnelle Schnappschuss, sich zu erinnern. Ein Foto kann daher deine Schatzkiste mit Füllen.
Wenn Du eine Botschaft übermitteln willst, dann helfen dir Bilder. Für welche Botschaften eignen sich welche Bilder? Gerade wenn deine Bilder aus deinem Betrieb stammen, kannst Du sie im Text auch gut beschreiben. Eigentlich musst Du das Kopfkino wecken.
Beim obigen Bild stellt sich die Frage, was die da machen? Was passiert, wenn ich dir die Antwort sofort gebe – was, wenn Du bis zum ende des Artikels warten musst?
Nicht umsonst spreche ich von einer Schatztruhe, verwende den Begriff “Geschichten” – denn es ist keine Pressemitteilung oder eine wissenschaftliche Arbeit, was deinen Leser berührt.
Überlege, wen Du erreichen willst
Das ist ganz wichtig. Häufig lese und höre ich in den Instagram-Storys Fachbegriffe aus der Landwirtschaft. Habt ihr mal einen “Städter” gefragt, wie groß ein Hektar ist? Die wenigsten wissen es (“so groß wie ein Fussballfeld?”) noch weniger können sich genau vorstellen, wie viel 100 x 100 Meter sind. An den Landstraßen stehen die weißen Begrenzungspfähle auf geraden Strecken im 50m-Abstand. Diese Entfernung im Quadrat macht einen Morgen aus – und vier davon einen Hektar.
Wenn Du Kinder erreichen willst, dann muss auch deine Wortwahl den Kindern entsprechen. So wie im zweiten Tipp beschrieben hilft hier, sich am Kinderfernsehen zu orientieren. Die Sendung mit der Maus wird übrigens auch sehr gerne von Erwachsenen gesehen. Weil sie dort Zusammenhänge leichter verstehen können.
Einen Journalisten zu erreichen ist schon schwieriger. Hier empfehlen wir gegebenenfalls auch nachzufragen und vielleicht gemeinsam die ersten Geschichten aufzubauen. Wenn ihr einen bestimmten Journalisten erreichen wollt, sucht nach Artikeln von ihm oder ihr im Internet. Da kann man oft ein Gefühl entwickeln, wie derjenige schreibt.
Großeltern können deine Geschichte weiterspinnen oder aus ihrer Erfahrung ergänzen. Mach dir bewusst, dass manch ein Begriff heute anders verwendet wird als damals.
Lass Situationen sprechen
Manche Texte strotzen nur vor Botschaften. Auch dieser Text mit den 6 Tipps gibt eine klare Botschaft. Er spricht diejenigen an, die sich für das Schreiben interessieren und die irgendwie ins Stocken geraden sind, oder sich nicht trauen, anzufangen oder sonst wie eine Herausforderung darin sehen. Natürlich kann man nun einfach diese Tipps einstellen und sagen: “Mach das so, dann klappt es.” Glaubwürdig ist der Text dadurch noch lange nicht. Erst durch die beschriebenen Beispiele, durch die Bilder und Situationen entsteht die Glaubwürdigkeit – solange sie nicht übertrieben dargestellt sind.
Beim obigen Bild ging es darum, ob die Teilnehmenden die Bienen hören können. Selbst der Bauer hatte sich noch nie so dem Bienenkasten genähert.
Nicht jeder Text muss seine Botschaft explizit aufführen. Eine starke Wirkung geht auch von Texten aus, die Erlebnisse darstellen und mit einer Frage enden. Wird es dir mit diesen Tipps gelingen, deine Geschichten zu verbessern?
Fang an
Leider eine alte – jedoch sehr wichtige – Weisheit: Übung macht den Meister. Viele haben Angst, zu viel von sich Preis zu geben oder zu viele Fehler zu machen. Gegen Fehler helfen Freunde, die einen Text mal durchlesen können. Aber dafür muss er geschrieben sein. Hol dir konstruktives Feedback. Nutze dein Netzwerk und frage dort, wer Lust hat, deine Texte zu lesen, bevor du sie online stellst oder versendest an eine Redaktion.
Sehr gute Erfahrung habe ich gemacht mit Zoom-Konferenzen, in denen wir direkt zu zweit geschrieben haben. Wenn Du schnell tippen kannst, dann kannst Du gleich schreiben, was dir einfällt – und dein Zoom-Partner gibt dir sofort Rückmeldung, was er gut findet. Zwei Bücher sind auf diese Weise entstanden (Bauernhofpädagogik andersherum und Vom Antworten geben zum Fragen stellen).
Manchmal fällt es dir auch leichter, handschriftlich zu schreiben. Gerade wenn du dich bemühst, sehr schön zu schreiben, verdichten sich die gedanken zu konzentrierten Sätzen. Das kann für den ein oder anderen hilfreich sein (gerade wenn man ein Schnelltipper ist, wie ich).
Eine Mindmap hilft dir vielleicht deine Schatzkisteninhalte zu ordnern. Nimm nicht gleich alle gesammelten Schätze, sondern nur die, die deine Botschaft oder Frage an den Leser auch voranbringen.
Wenn Du Lust auf mehr hast, dann kannst Du überlegen, ob Du eine Schreibwerkstatt besuchst oder einen entsprechenden Kurs im Internet buchst. Wir haben auch im Erfahrungsfeld-Bauernhof einen ausführlicheren Input dazu. Im Rahmen der Online-Zertifizierung schauen wir uns erste Texte an. Und die Idee, mit erfahrenden PR-Fachleuten einen Online-Kurs für Geschichten vom Gelingen aufzubauen, trägt erste Früchte.
Melde dich doch bei unserem Newsletter an, um auf dem Laufenden zu bleiben. Und hier wie Versprochen die Auflösung: Die Kinder sind in der Wiese blind in einer Schlange gelaufen. Die Erfahrungsfeld-Bauernhof-Begleiterin hat mit Worte geführt. Sie waren alle überrascht, wo sie am Ende herausgekommen sind. Aber das ist eine andere Geschichte…