Jedes Jahr im März treffen sich Akteure des Lernort Bauernhof bei der Bundestagung der “Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof e.V.” Pandemiebedingt fand diese im vergangenen Jahr online statt. Dieses Jahr konnten wir uns auf Gut Frohberg in Sachsen, kurz vor den Toren von Meißen treffen.
Als Verein sind wir Mitglied in der BAGLoB und unterstützen die Vernetzungsarbeit von Lernorten. Gerne geben wir Impulse aus unseren eigenen Erfahrungen weiter und sammeln Eindrücke und neue Ideen.
In diesem Beitrag möchte ich zwei Aktionen beschreiben, die mir besonders gut gefallen haben:
Qualitätskriterien aus der BNE
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) wird durch ein ganzheitliches Lehrkonzept verwirklicht. Sehr gelungen fand ich den interaktiven Impuls von Malte Bickel und Heide Delling. Sie sammelten zunächst per Zuruf aus dem Publikum die globalen Herausforderungen in den drei Themenkreisen Ökologie, Ökonomie und Sozio-Kultur. In einem weiteren Schritt wurden diese genannten Herausforderungen dahingehend untersucht, ob sie als Aspekte im Lernort Bauernhof eine Rolle spielten und dort anzusprechen wären. Mit dem spannenden Ergebnis, dass alle genannten globalen Herausforderungen sich in der Bildungsarbeit auf dem Lernort Bauernhof wiederfanden.
Anschließend ging es in Kleingruppen darum, in verschiedenen Bereichen zu diskutieren, inwieweit konkret in deren Qualität gearbeitet werden konnte. Große Metapläne stellten ein paar anregende Fragestellungen als auch Möglichkeiten zur Umsetzung dar. Die Diskussionen dazu wurden angeregt geführt und ich bekam von mehreren die Rückmeldung, dass es leider viel zu kurz war, diese Diskussionen zu führen. Daher möchte ich in diesem Beitrag die Leitfragen und Aspekte kurz darstellen.
Gefühle Wahrnehmen und Zulassen
Um ganzheitliches Lernen zu ermöglichen ist ein Zulassen und Wahrnehmen von Gefühlen während der Lernsituationen unabdingbar. Leitfragen dazu waren zum Beispiel, ob die Gefühle aktiv angesprochen werden, welche Methoden und Settings dazu genutzt werden oder wie mit unerwarteten emotionalen Reaktionen umgegangen wird.
Aus Erfahrungsfeld-Bauernhof Perspektive spielt dieses Gefühle zulassen eine wichtige Rolle. Mimische Äußerungen, Ausrufe oder Störungen werden als Chance gesehen, sich wertschätzend der Persönlichkeit des Gastes zu nähern und ihm einen Raum zur Entwicklung und Auseinandersetzung zu bieten. Daher fragen wir sehr gerne bei deutlichen Gesichtsausdrücken oder Ausrufen nach. Wir machen auch auf große Freude aufmerksam, genauso wie auf die Betroffenheit. Die Gruppendynamik und die Ernsthaftigkeit mit der wir diese Prozesse begleiten, stärken die Begegnung mit der Landwirtschaft ungemein.
Handlung- und Visionsorientierung
An welcher Stelle können Lernende aktiv und sinnstiftend mit eingebunden werden? Ermöglicht mein Bildungsangebot, dass Lernende Handlungsimpulse im Sinne der nachhaltigen Entwicklung mit in den Alltag nehmen? Was habe ich als Anbieter und was haben Lerndende für Wünsche und Bilder?
Im Erfahrungsfeld-Bauernhof rücken die eigenen Leitbilder des Anbietenden sehr stark in den Hintergrund. Wir stellen immer wieder fest, dass unsere Gäste (wie wir die Lernenden nennen), häufig Schwierigkeiten haben, ihre eigenen Leitbilder und Visionen zu formulieren. Daher sehen wir dies als einen sehr wichtigen Schritt an. Jedes persönliche Leitbild, welches wir von uns hinzustellen würden, schafft Irritationen und diese wollen wir vermeiden, um mit unseren Gästen im Lernflow zu bleiben. Mit Hilfe der Gesprächslandkarte 8×8 (c) wird hinterfragt, welche Visionen und Zielsetzungen, aber auch welche konkreten Schritte der Gast ganz persönlich unternehmen kann. Eine sinnvolle Umsetzung wird sehr wohl dann geprüft, ob sie den Ansprüchen an die eigene Vision genügt und ob sie realistische und konkret umsetzbar ist.
Partizipation der Lernenden und Methodenvielfalt
Wie können Wünsche und Bedürfnisse der Lernenden stärker berücksichtigt werden? Sind die Bildungsangebote so konzipiert, dass Lernende in Kleingruppen aktiv werden können und für alle etwas zu tun ist? Welche Methoden werden eingesetzt und werden unterschiedliche Lernkanäle angesprochen?
Häufig sind die Führungen von größeren Gruppen nicht geeignet, um Kleingruppenarbeit zu machen. Was wir jedoch bereits in den Führungen zulassen ist ein “atmen” der Gruppendynamik. Freiraum für einen Teil der Gruppe, während ein anderer Teil sich fokussiert.
Darüber hinaus spielt die Aktivierung der Sinne eine große Rolle. Dabei entwickeln wir nicht nur über die fünf klassischen Sinne sondern auch über Gleichgewichts- und Gemeinschaftssinn Interaktionen zwischen den Teilnehmenden. Da wir als Moderatoren des gemeinsamen Lernprozesses fungieren, ist eine Partizipation unabdingbar. Wir mussten lernen, auszuhalten, dass Interaktion Zeit braucht, bis sie von sich aus beginnt.
Ein großer Kreis von Menschen
Nahezu 100 TeilnehmerInnen aus dem deutschsprachigen Raum waren auf der Tagung vertreten. Und die Gastlocation war gut geeignet, sich dort zu vernetzen. Die Gastgeber hatten auch zwei Mütter mit Kindern aus der Ukraine aufgenommen, um in der gegenwärtigen Situation etwas Hilfe anzubieten.
Am Morgen des letzten Tages kam eine ukrainische Mitarbeiterin an unseren Tisch, an welchem auch Heike Delling saß, um eine Bitte an uns heranzutragen: Es wäre schön, wenn die Kinder erleben könnten, dass sie Willkommen sind – sagte sie. Und Heike, die für die Moderation der Tagung zuständig war, sagte sofort: Da machen wir etwas draus. So entstand der Impuls, eine Idee umzusetzen, die sich für große Gruppen am Ende solcher Tagungen eignet. Coronabedingt muss man sie etwas vorsichtiger machen.
Die Familien warteten auf dem Innenhof des Gutes und wir beendeten unsere Konferenz wie folgt: In einer langen Schlange, in die auch die Kinder und Mütter mit aufgenommen wurden, liefen alle Beteiligten eine große Spirale auf dem Hof. Der Radius wurde immer enger und im Mittelpunkt drehten wir uns um und gingen nun zwischen zwei, sich nach innen bewegenden Menschenketten, wieder nach Außen. Wir begegneten uns noch einmal bewusst. Jeder konnte Jedem nochmals in die Augen schauen, nochmal Abschied nehmen, oder auch Begrüßen, wen er vor sich sah. Zum Schluss standen wir alle in einem großen Kreis und gaben uns gegenseitig Applaus. Mittendrin waren die Kinder und Mütter. Der Gastgeber bedankte sich für diese Energie des Miteinanders und der Kreis wollte sich nur langsam auflösen.
Diese Spirale gefällt mir deswegen so gut, weil sie so dynamisch ist und weil sie solch eine Begegnung schafft. Auch wenn sie einen Abschluss darstellte für eine intensive Zeit, so war sie doch auch ein Willkommen und hoffentlich ein guter Anfang einer Zeit für die Menschen, die wir in unserer Mitte aufgenommen hatten. Wir mussten nicht viel Wissen, wir mussten nur einfach Da-Sein. Ich nehme diesen Moment als einen der bewegendsten aus dieser Tagung mit.
In diesem Sinne möchte ich nochmals auf meinen letzten Beitrag zum Positionspapier für Respekt und Toleranz verweisen.